Gumbel, Emil Julius (Statistiker,
politischer Publizist u. Übersetzer)
* 18.7.1891
München +
V: Rentier
abs. 1910
(JB WG)
Emil Julius Gumbel
(* 18. Juli 1891 in München; † 10. September 1966 in New York) war ein
deutsch-amerikanischer Mathematiker und politischer Publizist.
Emil Julius Gumbel
wurde als Sohn von Hermann (* 1857, † 1916), Privatbankier, ab 1887 in München,
und Flora (* 1869 Bruchsal, † 1916 München) geboren. Seine Großeltern waren
Isaak Gumbel (* 15. Dezember 1823 in Stein am Kocher; † 15. Januar 1891 in
Heilbronn) und Güta, geborene Stern (* 15. Januar
1829, † 16. September 1897 in Heilbronn). Er heiratete 1930 Marieluise,
geborene von Czettritz, geschiedene Solscher (* 9. August 1892 in Hau; † November 1952 in New
York City). Sie brachte ihren jüngeren Sohn Harald (* 1921), der sich später
Harold nannte, mit in die Ehe, während ihr älterer Sohn Jürgen beim Vater
blieb.
Nach dem Abitur
1910 am Wilhelmsgymnasium München studierte Gumbel in München Nationalökonomie
und promovierte am 28. Juli 1914 zum Dr. oec. publ. mit der Arbeit Über die Interpolation des
Bevölkerungszustandes. Wenige Tage später meldete er sich als
Kriegsfreiwilliger, doch die reale Erfahrung des Krieges machte ihn bald zum
Pazifisten. Unter einem Vorwand ließ sich Gumbel im Frühjahr 1915 vom
Kriegsdienst freistellen. Im Herbst 1915 trat er dem pazifistischen Bund Neues
Vaterland bei, der sich 1922 in Deutsche Liga für Menschenrechte umbenannte.
Bis zum Kriegsende arbeitete er bei der Flugzeugmeisterei am Flugplatz
Johannisthal, danach, unterstützt durch Georg Graf von Arco
vom Bund Neues Vaterland, bei Telefunken. Nebenbei betätigte er sich politisch.
Er war 1917 der USPD beigetreten, mit deren (nach einer ersten Abspaltung des
linken Flügels im Jahr 1920) verbliebener Mehrheit er 1922 in die SPD
wechselte. Vor allem aber betätigte er sich parteipolitisch relativ unabhängig
als Pazifist auch auf internationaler Ebene.
Zu seinem großen
Thema wurden die zahlreichen politischen Morde in den Wirren der Nachkriegszeit
seit der Novemberrevolution. Als Statistiker ließ er dabei die Zahlen für sich
sprechen. In zwei Publikationen wies er nach, dass die Zahl der Morde aus dem
rechten Spektrum deutlich überwog – so konnte er aufzeigen, dass im Zeitraum
1919 bis 1922 von 376 politisch motivierten Morden 354 dem rechten Spektrum
zuzuordnen waren, lediglich 22 dem linken. Die Einäugigkeit der Justiz in der
Weimarer Republik, die er aufzeigte, war dabei frappierend: Die Mörder aus dem
linken Lager wurden mit äußerster Strenge behandelt, es kam zu zehn
Hinrichtungen auf 22 Morde. Mörder aus dem rechten Lager wurden aber mit großer
Nachsicht behandelt: Bei 354 Morden kam es zu einer einzigen lebenslangen
Strafe, keiner einzigen Hinrichtung und insgesamt 90 Jahren Haft – im
Durchschnitt vier Monate Haft pro Mord. Viele Morde von rechts blieben dabei
gänzlich ungesühnt. Seine Publikationen erreichten recht hohe Auflagen und
führten sogar zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Preußischen
Landtag, nachdem die Ergebnisse von Gumbels Buch Vier Jahre politischer Mord in einer vom
Reichsjustizminister Gustav Radbruch in Auftrag gegebenen Studie bestätigt
wurden.
Wohl infolge der
Analysen politischer Morde wurde Gumbel auch ein Fachmann für nationalistische
Geheimorganisationen, die sich aus den Freikorps entwickelten und für viele
Morde aus dem rechten Spektrum verantwortlich waren. Insbesondere interne
sogenannte Fememorde waren in diesen Organisationen zeitweise an der
Tagesordnung. In seinen Büchern Verschwörer
(1924) und Verräter verfallen der Feme
(1929) (der Titel ist ein Zitat aus dem Statut der Organisation Consul) analysierte er deren Strukturen und machte auch auf
die Schwarze Reichswehr aufmerksam. Dies brachte ihm Prozesse wegen
Landesverrats ein, die wie die meisten derartigen Prozesse im Sande verliefen
und wohl vor allem dazu dienten, missliebige Journalisten und Autoren unter
Druck zu setzen.
Obwohl als
politischer Aktivist in der mehrheitlich konservativ-monarchistischen
Professorenschaft bereits heftig umstritten, wurde Gumbel 1923 an der
Universität Heidelberg habilitiert. Gumbel war zuerst Privatdozent, dann ab
1930 außerordentlicher Professor für mathematische Statistik in Heidelberg.
Nebenbei hielt er vor allem seine pazifistischen Aktivitäten aufrecht. Als er
1924 auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft zum zehnten
Jahrestag des Kriegsausbruchs vom Felde der Unehre sprach, suspendierte ihn die
Universität. Die Universität musste die Suspendierung jedoch widerstrebend
wieder aufheben, da Gumbel hier und auch später einen gewissen Schutz durch die
von der liberalen DDP gestellten badischen Kultusminister genoss. Insbesondere
für die mehr und mehr nationalsozialistisch dominierte Studentenschaft war
Gumbel ein rotes Tuch. Im Anschluss an seine Ernennung zum außerordentlichen
Professor 1930 kam es bei den sogenannten Gumbelkrawallen
zu einer Universitätsbesetzung durch nationalsozialistische Studenten und zur
polizeilichen Räumung der Universität. Als Gumbel auf einer internen Sitzung
der Heidelberger Sozialistischen Studentenschaft in Erinnerung an die
Hungertoten des Kohlrübenwinters 1916/17 davon sprach, dass eine Kohlrübe sich
besser als Kriegerdenkmal eigne als eine leichtbekleidete Jungfrau, wurde ihm
im Sommer 1932 die Lehrberechtigung entzogen. Dabei spielte sicherlich eine
Rolle, dass Gumbel Jude war. Im Juni 1932 gehörte er zu den Unterzeichnern des Dringenden Appells des Internationalen
Sozialistischen Kampfbundes.
Zur Zeit der
NS-Machtübernahme war Gumbel schon in Paris, wo er seit Juli 1932
Gastvorlesungen hielt. Während in Heidelberg seine Wohnung geplündert und seine
Schriften verbrannt wurden, engagierte er sich publizistisch gegen den
Nationalsozialismus in Deutschland und unterstützte aus Deutschland
nachkommende Emigranten. Ihm wurde im August 1933 durch Nennung auf der Ersten
Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs die deutsche Staatsangehörigkeit
aberkannt. 1940 gelang ihm nach dem Einmarsch der deutschen Truppen die Flucht
in die USA.
In den 1950er und
60er Jahren kehrte er zu einigen Gastaufenthalten nach Deutschland zurück. Die
gewünschte Wiedereinstellung an der Universität Heidelberg blieb ihm verwehrt;
so blieb er in den USA, wurde amerikanischer Staatsbürger und nahm 1953 eine
Professur an der Columbia-Universität an.
Neben seinen
Büchern publizierte er regelmäßig in der Kulturzeitschrift Die Weltbühne und war Übersetzer und Herausgeber von Schriften
Bertrand Russells. Als Mathematiker erwarb er sich einen Ruf als Fachmann für
Statistik und war maßgeblich an der Entwicklung der Extremwerttheorie
beteiligt, über die er 1958 mit Statistics of Extremes die erste Monographie, sein mathematisches
Hauptwerk, verfasste. Nach ihm ist die Gumbel-Verteilung benannt.
W (Auswahl):
Vier Jahre
politischer Mord. Berlin 1927.
Geleitwort Albert Einstein
Vier Jahre Lüge. Neues Vaterland, Berlin 1919
Zwei Jahre Mord. Neues Vaterland, Berlin 1921. (Ab der 5. Auflage unter dem Titel: Vier
Jahre politischer Mord. Verlag der neuen Gesellschaft, Berlin-Fichtenau 1922 online; Volltext bei Project Gutenberg. Buch
komplett digitalisiert bei Openlibrary.org.)
(Hrsg.): Die Denkschrift des
Reichsjustizministers über „Vier Jahre politischer Mord“. Malik, Berlin
1924
Verschwörer. Beiträge zur Geschichte und
Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde seit 1918. Malik,
Wien 1924.
Vom Russland der
Gegenwart. E. Laubsche
Verlagsbuchhandlung, Berlin 1927. Geleitwort Albert Einstein
Verräter verfallen
der Feme. Malik, Berlin 1929
„Lasst Köpfe
rollen!“ Faschistische Morde 1924 - 1931.
Deutsche Liga für Menschenrechte, Berlin 1931
Statistics of Extremes.
Columbia University Press, New York 1958
Vom Fememord zur
Reichskanzlei. Lambert Schneider, Heidelberg 1962.
(Wikipedia)