Löwenfeld, Theodor                                 (Jurist)

* 31.7.1848 München                               +

V: Siegellackfabrikant

abs. 1867

 

Bruder am WG: Leopold, abs. 1865, s.d.

 

Söhne am WG: Philipp, abs. 1906, s.d.

                            Walter abs. 1908, s.d.

 

(JB WG)

 

 

Loewenfeld, Theodor                                Jurist

* 31.7.1848 München                               + 18.1.1919 München

V: Philipp, Siegellackfabrikant (+ 1866)  M:  Johann, geb. Reh

verh.: 1880 Sophie, geb. Marx (+ 1927)

2 Söhne, 2 Töchter

 

L. widmete sich in einer in Deutschland seltenen Synthese gleichzeitig Rechtswissenschaft, ‑praxis und ‑politik. Da dieses dreifache Engagement  nicht mit Oberflächlichkeit erkauft wurde, erscheint sein hinterlassenes Lebenswerk schmal, während sein Wirken überaus breit und intensiv gewesen ist. Eine besondere Note liegt in den Spannungen, die sich aus L.s. Sozialismus und Judentum im Kaiserreich Wilhelms II. ergaben. Nach seinem Tode schnell vergessen und heute zu Unrecht fast unbekannt, müssen sein Leben und Wirken großteils  aus ungedruckten Quellen erschlossen werden.

 

L. besuchte nach dem frühen Tod des Vaters trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage seit 1867 die Universität München. Er studierte zunächst Philosophie, dann Jura (besonders bei A. Brinz und A. Geyer) und legte 1871 mit Bestnote die Schlußprüfung für den Staatsdienst ab. Nach Vorbereitungspraxis und Promotion 1873 mußte er aus finanziellen Gründen zunächst praktisch arbeiten (u.a. bis 1875 als Sekretär der israelitischen Kultusgemeinde) und kam erst 1877 zu Habilitation und Privatdozentur. 41 Jahre lang unterrichtete er dann an der Münchener Juristenfakultät, seit 1896 als o. Honorarprofessor. Gewiß nicht karrierefördernd war sein Eintritt in die Sozialdemokratische Partei (schon während des Sozialistengesetzes um 1880). Neben der Hochschultätigkeit stand seit 1880 die als Anwalt, die er seit 1886 in Assoziation mit M. Bernstein, später mit M. Prager und seinem Sohn Philipp (abs. 1906) ausübte. Bei ihm Praktikant zu sein, hieß "so ziemlich hier die feinste Anwaltschaft" (L. Thoma) genießen. 1899‑1911 gehörte er dem Vorstand der Anwaltskammer an.

 

Zeitlebens, schon 1877 sichtbar in der Habilitationsschrift, fesselte L. die politische Seite des Rechts. Zur bis 1916 hochstreitigen Anerkennung der Arbeiterkoalitionen lieferte er 1890 und 1899 an zwei entscheidenden Wegmarken "epochemachende" (H. Heinemann) Abhandlungen. In vernichtender dogmatischer Analyse und Kritik weist er darin Punkt für Punkt die gezielte Einseitigkeit und daher Ungerechtigkeit der "ausnahmsrechtlichen Behandlung des Arbeitsvertrages und des zugehörigen Koalitionsrechts" in der großen Gewerbeordnungsnovelle vom 5.5.1890, dem "Entwurf eines Gesetzes zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses" (sog. Zuchthausvorlage) vom 16.5.1899 und der zeitgenössischen Rechtsprechung nach.

 

Neben juristischen Fragen stellte er sich ebenso im Patent‑, Namen‑ und Urheberrecht, das er geradezu "autoritativ beherrschte" (Buhmann). Seine Vorlesungen erstreckten sich über alle juristischen Fächer außer Staats‑ und Verwaltungsrecht. Er las vor allem Römische Rechtsgeschichte, Enzyklopädie, Römisches Privatrecht (mit dem noch seltenen Praktika), aber auch über das neue Strafrecht, Straf‑ und Zivilprozeß, Konkursrecht sowie Rechtsphilosophie. 1896 wandte er sich dem

soeben verabschiedeten BGB zu, dessen Entwurf er schon erfolgreiche Kritik gewidmet hatte. Neben diesen regelmäßigen Themen bot er handelsrechtliches Vereinsrecht, Patent‑ und Sozialversicherungsrecht, letzteres erstmalig in München.

 

Gerade in der Behandlung des geltenden Rechts und seiner Wachstumsspitzen ließen sich, seiner Neigung entsprechend, Wissenschaft, Praxis und Politik fruchtbar integrieren. L. verfügte gleich souverän über Pandektistik und Altertumskunde, die neuen Rechtsregeln und die Rechtspraxis und hatte einen scharfen Blick für das Soziale und Wirtschaftliche im Recht. Die Voraussetzungen seines Denkens und Handelns liegen in juristischer Romanistik, Neukantianismus, Liberalismus, Sozialismus und Judentum. L. verkörperte eine wesentliche, zu Unrecht als bloß "positivistisch" oder "sozialistisch" bezeichnete juristische und allgemeine Strömung des späten 19.Jahrhunderts.

 

Die Treue zum positiven Recht bedeutete für ihn keinen juristischen oder politischen Ruhestand, sondern die Freisetzung der Jurisprudenz wie der Politik für ihre je eigene, arbeitsteilige Mitwirkung an der Verbesserung der menschlichen Zustände. Auf dem "liberalen" Fundament einer sicheren und klaren lex lata entwickelte er das humane politische Engagement, das dem Gesetz auch die Zukunft sichert, indem es auf steten "rein gesetzlichen Fortschritt" (Ph. Loewenfeld) drängt. Diese Arbeitsteilung geriet bei anderen nicht selten sehr einseitig und wurde schon 1906 im Zeichen der "Freirechtsschule" nicht mehr verstanden. In L.s. Einleitung zum berühmten Staudinger‑Kommentar steht dazu eine schon "klassische" (Buhmann), noch heute lesenswerte Kritik.

 

W (u.a.):

 

             Die selbständige Actio de rem verso, Diss. München, 1873

 

             Zur Lehre von den sogenannten entgeltlichen und unentgeltlichen Rechtsgeschäften, Habil. Schr.        München, 1877

 

Inästimabilität und Honorierung der artes liberales nach Römischem Recht, in: Festgabe J. W. Planck, 1887, S. 363‑467

 

             Über den Dienst, Werk‑ und Auftragsvertrag nach dem Entwurf des BGB, 1889

 

Kontaktbruch und Koalitionsrecht im Hinblick auf die Reform der deutschen Gewerbegesetzgebung, in: Archiv f. soz. Gesetzgebung 1890, S. 383‑488

 

             Rezession zu Lotmar, Angeborene Rechte, ebd., 1894, S. 321‑37

 

             Koalitionsrecht und Strafrecht, ebd., 1899, S. 471‑602

 

             Einleitung und Kommentar zu .. 1‑99, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, 11903 (S. 1‑252) bis                  7/81912 (S. 1‑331)

 

             Bemerkungen zur Reform des Patentrechts, 1914

 

(NDB 15, 91)