über die Einrichtung der
Schülerzensuren
§ 1
Die Schüler-Zensuren, d.i. die den Schülern von den Lehrern zu vertheilenden Noten, werden nach den vier Haupt-Gesichts-Punkten, die in der Schilderung jedes Schülers besonders anzugeben sind, verfertigt:
a) Geistige Anlagen, b) Fleiß, c) Fortgang, d) Charakter-Anlagen und Betragen, e) Gedächtniß-Übungen, und f) Privat-Studium
Von diesen beyden letzteren Gesichts-Punkten findet
der erstere insbesondere auf die Schüler der Studien-Schulen, der
letztere auf die der Gymnasien seine Anwendung; doch kann ersterer auch
noch bey den Gymnasial-Schülern mit berücksichtigt werden, besonders
wenn dabey zugleich auf Richtigkeit und andere Vorzüge
des Vortrages gesehen wird.
§ 2
Die Bezeichnung und Schilderung der Schüler hat, um von denselben ein möglichst bestimmtes und wahres Bild zu geben, nur die qualitativen Verschiedenheiten, die sich bey jedem Einzelnen in Rücksicht auf die angedeuteten Haupt-Gesichts-Punkte zeigen, so genau, als es geschehen kann, anzugeben. Über ihre Anwendung im Ganzen muß die Einsicht des Lehres entscheiden, und nur beyspielsweise folgen einige Bestimmungen im Allgemeinen mit den nöthig erachteten Erinnerungen:
a) In Absicht auf die Anlagen der Schüler können solche qualitative Prädikate, die nur von der Periode der vollendeten Entwicklung des Geistes gebraucht werden, z.B. Scharfsinn, Tiefsinn etc. in den Zensuren keinen Platz finden. Qualitative Prädikate der Anlagen, wie sie hieher passen, sind z.B. gelehrig, leicht fassend, richtig urtheilend, schnell merkend, fest im Gedächtnis haltend, selbst erfindend, nachdenkend etc.; oder die entgegengesetzten: ungelehrig, schwer begreifend, verworren im Urtheile, langsam lernend, schnell vergessend, nicht selbst erfindend, flüchtig, oberflächlich etc.
b) In Absicht auf den Fleiß der Schüler sind die qualitativen Prädikate den blos quantitativen um so mehr vorzuziehen, weil jene mehr das Faktum, wovon die Mitschüler auch Mitzeugen seyn können, als ein bloßes Urtheil des Lehrers ausdrücken. Auffallende Schul-Versäumnisse nebst den darüber schon vorgefallenen Korrektionen müssen hiebey ohnehin faktisch angegeben werden. Qualitative Prädikate des Fleißes, wie sie hier Anwendung finden, sind z.B. achtsam, aufmerksam, bey der Arbeit ausdauernd, jederzeit sorgfältig vorbereitet, aus eigenem Abtriebe arbeitend etc.; oder die entgegengesetzten: unachtsam, zerstreut, der Arbeit leicht überdrüssig, selten gehörig vorbereitet, nichts ohne fremden Einfluß vornehmend etc.
c) In Absicht auf den Fortgang der Schüler finden die blos quantitativen Prädikate auch bey den Studien-Schülern ihre Anwendung. Es soll aber dabey erstens der Fortgang der Schüler überhaupt nicht im Allgemeinen, sondern ausdrücklich in Beziehung auf die Lehrgegenstände insbesondere, ausgesprochen werden; weil der Fall so häufig eintritt, daß die Schüler nach individueller Anlage und Neigung in einer Art von Lehrgegenständen größere, in einer anderen kleinere Fortschritte macht, in einer dritten ganz zurückbleibt, und es in jedem Falle ein bestimmtes Bild von dem Fortgange eines Schülers giebt, wenn die Angabe auf diese Art spezifizirt wird. Zweytens soll hierin, wie in den übrigen Haupt-Punkten der Zensuren, die übertriebene Steigerung der Prädikate, wodurch am Ende die natürliche Geltung der Worte ganz verkehrt, sorgfältig vermieden werden; es dürfen daher zur Bezeichnung der verschiedenen Grade des Fortganges nur folgende quantitative Prädikate: vorzüglich, gut, nothdürftig, gering, schlecht, gebraucht werden.
d) In Absicht auf die Gedächtiß-Übung
und das Privatstudium ist die Zensur überhaupt nicht durch
Prädikate, sondern durch bestimmte Angabe dessen, was jeder Schüler
rücksichtlich dieser Punkte geleistet hat, auszudrücken.
§ 3
Obige Vorschrift beabsichtigt aber nicht ein ängstliches Binden an eine gewisse Formel, sondern eine möglichst genaue und belehrende Schilderung der Schüler, und den Lehrern ist hierin jede Freyheit gestattet, die dem Zwecke förderlich ist. Zum Beyspiele dienen ein Paar Zensuren, in welchen der Gymnasial-Lehrer zwey seiner Schüler so schildert:
a) " N.N. zeigt in dem Studium der alten Sprachen und der Geschichte gute Anlagen, und hat darin durch anhaltende Aufmerksamkeit in den Lehrstunden und durch fleißiges Vorbereiten und Wiederholen zu Hause einen solchen Fortgang gemacht, daß er den für die nächst höhere Klasse aufgestellten Forderungen Genüge leistet, und in dieselbe überzugehen würdig ist. Dagegen hat er in dem Studium der neueren Sprachen und der Mathematik, so wie im Zeichnen, weniger Geschick und Fleiß gezeigt, und muß besonders in Absicht auf Mathematik zur Nachholung des versäumten ermuntert werden. In Rücksicht der Gedächtnis-Übung hat er alle seine Mitschüler übertroffen, indem er in diesem Jahr 40 deutsche Gedichte, 20 Oden des Horaz und 12 Gedichte von Anakreon auswendig gelernt hat, die er mit Sicherheit und gutem Anstande vorzutragen weiß. Ausser den Aufgaben für die Klasse hat er für sich selbst die beyden ersten Bücher des Livius übersetzt. Sein Betragen ist ernst und ruhig etc."
b) "N.N. ist aufgeweckt und faßt leicht;
ist aber dabey leichtsinnig und oft zerstreut, und macht daher nicht die
Fortschritte, die von seinen Anlagen zu erwarten wären: Weder seine
Neigung, noch seine Anlagen, haben sich bis jetzt für eine Art der
Unterrichts-Gegenstände entschieden; in Allem ist er hinter seinen
meisten Mitschülern zurückgeblieben. Die Gedächtniß-Aufgaben
hat er, sobald er wollte, mit Leichtigkeit erlernt; aber eben so schnell
auch wieder vergessen. Für sich selbst hat er gar keine Arbeit vorgenommen,
vielmehr sogar die Aufgaben für die Klasse in der Regel sehr nachläßig
bearbeitet, und die Vorbereitung auf die Lehrstunden meistens versäumt.
Dabey ist er muthwillig bis zur Ausgelassenheit etc."
§ 4
Um diesen Zensuren selbst eine größere Auktoriät zu verschaffen, und die Vollständigkeit und Unpartheilichkeit möglichst zu sichern, den einzelnen Lehrer aber der Verantwortung gegen die Unzufriedenen zu entheben, und ihn wider die daraus leicht erwachsenden Unannehmlichkeiten, deren Besorgnis nicht selten der so nöthigen Freymüthigkeit des Urtheils hinderlich wird, zu schützen, ist zugleich verordnet:
a) Daß die Klassen-Lehrer zwar die Zensuren verfassen sollen;
b) Daß aber dabey der etwa in derselben Klasse unterrichtende Fachlehrer nicht nur rücksichtlich seiner Lehrgegenstände, sondern auch rücksichtlich der übrigen Eigenschaften der Schüler eine gleichgeltende Stimme haben, und zur mündlichen Berathung über die Fassung der ganzen Zensur mit dem Klassen-Lehrer zusammentreten soll.
c) Daß eben so auch von den Sprach- und Kunst-Lehrern ein schriftliches Urtheil in Ansehung der Kenntnisse und Fähigkeiten, als auch des Betragens derselben, abgefordert werden soll, welches bey der Fassung der Zensur gehörig zu berücksichtigen, und als Beleg mit zu den Akten zu bringen ist;
d) Daß endlich diese mit gemeinschaftlicher
Berathung abgefaßten Zensuren der Revision des Gesammt-Rektorats
unterliegen, und durch dessen Bestimmung erst die volle Gültigkeit
erhalten.
§ 5
Der Hauptzweck bey den Zensuren ist, die Schüler unter sich zum Wetteifer im Streben nach freyer wissenschaftlicher Bildung und zur lebendigen Liebe der Studien selbst zu ermuntern, und vor Geringschätzung der freyen Künste und Wissenschaften zu warnen; die Lehrer haben sich also
a) eben so sehr vor übertriebenem Lobe, wodurch sie den Schüler nur eitel und an sich selbst irre, zugleich aber ihr eigenes Urtheil oder ihre Absicht verdächtig machen, als vor dem Unterdrücken und Verschweigen des verdienten Tadels, der oft allein noch die Trägen zu versetzen vermag, zu hüten; und
b) die anerkannt schädliche Meinung bey den Schülern nicht zu erregen, oder zu unterhalten, daß diesen Zensuren ein unmittelbarer Einfluß auf die zukünftige Lebens-Bestimmung der Schüler und ihre dereinstige Stellung in der politischen Verfassung zukomme.
In dieser Hinsicht sollen die Zensuren
a) nicht über den Kreis der Schule hinaus verbreitet und ausser den Schul-Vorständen Niemanden als den Schülern bekannt werden;
b) den Schülern selbst sind sie, vor dem öffentlichen Akte der Preise-Vertheilung, in einer Versammlung aller Lehrer zu publiciren, jedoch so, daß jede Klasse oder Schule besonders vorgerufen wird;
c) die Zensuren sind in ein eigenes Buch einzutragen, worin sie zum immerwährenden Andenken aufbewahrt werden;
d) eine Abschrift derselben, von allen Lehrern unterschrieben, ist an das kön.General-Kreis-Kommissariat einzusenden;
e) wo es der geschärfteren Warnung wegen nöthig ist, werden von den einzelnen Zensuren auch Abschriften durch das Rektorat den Aeltern oder Kuratoren der Schüler zugesendet;
f) von günstigen Zensuren können, auf besonderes Verlangen der Aeltern und auf Kosten derselben, Abschriften ausgefertigt werden; jedoch kann jeder Vater nur die seines Sohnes verlangen;
g) keine Lehr-Anstalt darf einen Schüler aus einer andern Anstalt aufnehmen, wenn derselbe nicht eine Abschrift der zuletzt erhaltenen Zensur beybringt.