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Beschwerde des Directors Weiller über das Verhalten des Oberstudienrats Niethammer (19.8.1809)
 

Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König,

Allergnädigster König und Herr!

Als ich nach dem Rektor Holzwart das mir allergnädigst übertragene Rektorat des Gymnasiums antrat, vermuthete ich nicht, daß mich die Lust und der Muth, welche zur Führung dieses Amtes nothwendig sind, auch sobald wie meinen Vorgänger verlassen würden. Allein leider! hat auch mich schon, nach einem Semester mit der Ueberzeugung von der Unmöglichkeit, unter den gegenwärtigen Verhältnissen gehörig wirken zu können, gegen einen sonst so geliebten Kreis von Geschäften eine - wie aus folgendem erhellt - gerechte Abneigung ergriffen.

Ich muß zum Behufe meiner weitern Erörterungen die eine und andere Allerhöchste Verordnung in Beziehung auf ihre nächste Veranlassung berühren, und schicke daher, um jeder Mißdeutung vorzubeugen, hier die bestimmte Erklärung voraus, daß ich dieVerordnung von ihrem Anlaß voll zu unterscheiden, und mich jener in schuldiger Unterthanspflicht auch dann zu fügen weiß, wenn sie meiner Ueberzeugung entgegengesetzt ist.

Allein diese Ehrfurcht für die allerhöchste Verordnung kann und darf nicht blind gegen ihre erste Veranlassung machen. Wenn ich also hier in tiefster Unterthänigkeit eine Beschwerde vorlege, die mir von meinem Amte zur Pflicht gemacht wird, so gilt die Klage nicht das nun ein Mahl bestehende Gesetz, sondern nur sein erstes Projekt und seinen ersten Projektanten. Natürlich ist es den hohen und höchsten Leitern des Staatsruders bey den ungeheuren Mengen von Geschäften unmöglich, bey jedem geringfügigen Vorschlage ins Detail seiner Eigenheiten und Gründe einzugehen. Sie müssen sich in solchen Fällen lediglich auf die Einsicht und Gewissenhaftigkeit desjenigen verlassen, von welchem der Entwurf herrührt.

Meine Beschwerde ist daher nur gegen den Mann gerichtet, von welchem im Fache des Studienwesens die ersten Entwürfe ausgehen, nämlich gegen den Oberstudienrath Niethamer. Die mit einer gränzenlosen Aenderungs-Begierde, mit einer eben so großen Verachtung als Unbekanntheit alles dessen, was bisher bey uns war, und folglich mit einer sehr bedeutenden Illiberalität verbundenen Unfehlbarkeit dieses Mannes nöthiget mich Eure Königl.(M.) allerunterthänigst um die allergnädigste Entlassung von den Stellen, die ich an der hiesigen Studienanstalt besitze, zu bitten.

Genannter Oberstudienrath ist im Stande, seinem Obern Entwürfe zu allerhöchsten Anordnungen vorzulegen, die sich auf gar nicht statt habende Voraussetzungen gründen, wie unter anderm z.B. das neulich erlassene Regulativ wegen der Schüler-Zensuren beweißt, wo behauptet wird, daß bisher nur quantitative Bezeichnungen üblich gewesen, welches doch der Fall nicht ist. - Er ist im Stande, Aenderungen über Gegenstände anzustreben, die allerhöchsten Orts eben erst bestimmt und erhöht worden sind. Zum Belege wieder - nur - einen Fall! Erst heuer wurden die Lyzeen auch äußerlich zu dem Range der Universitäts-Sektionen erhoben, und schon hätten sie nach seinem Projekte durch Einführung von Arten von Gymnasialprüfungen mehr beschränkt werden sollen, als sie es vor dieser Erhebung waren. - Er ist im Stande, Vorschläge zu allerhöchsten Verfügungen zu machen, die ins allergeringste Detail gehen, so daß in Hinsicht der noch zu erwartenden Menge von Verfügungen gar kein Ende abzusehen ist, und man von der endlichen Unmöglichkeit, sich alles immer zu erinnern, und von dem Geiste der Illiberalität, den er auf diese Weise - unter dem mißbrauchten Schutze der Regierung - geltend machen will, erschrocken zurücktreten muß. - So z.B. veranlaßte er erst neulich in Ansehung der Prüfungen so gar eine allerhöchste Bestimmung des Zimmers, worin diese Prüfungen anzustellen sind. - Er ist im Stande, ich will nicht sagen, die Minorität zu begünstigen, aber doch die Bedürfniße der Majorität wiederholt zu vergeßen, und dann doch Entwürfe zu allgemeinen geltenden Organisationen vorzulegen. So ist ja nach seinen Vorschlägen heuer für die etliche und zwanzig protestantischen Schüler des hiesigen Schulhauses ein eigener Religionslehrer angestellt, für die mehr als fünfhundert katholische(n) Schüler nicht nur keiner vorhanden, sondern es ist in den drey obern Klassen des Gymnasiums selbst den übrigen Professoren vor lauter Latein und Griechisch nicht ein Mahl eine Stunde freygelassen, worin etwa sie - versteht sich den Prof. Thiersch ausgenommen - Religion lehren könnten.

Er ist endlich im Stande, seine Verfügungen auf eine Weise durchzusetzen, die selbst jeden Dorfschulmeister erzürnen müßte. Darüber auch wieder unter anderm nur folgender allerneuester Fall, der insbesondere mich betrifft. Ich hatte allerhöchst dero geheimen Rath von Zentner als unserm Schulvorstande, kurz vor seiner Abreise nach vorheriger Rücksprache mit den Professoren über die Haltung der bevorstehenden Prüfungen berichtet, und von demselben die Genehmigung meiner Vorschläge erhalten, mit der einzigen Weisung, den Oberstudienräthen zur Prüfung ansagen zu lassen. Ich machte also nach nochmaliger Benehmung mit den Rektoratsmitgliedern auch den Professoren die Zeit, die Weise der Prüfungen u.s.f. bekannt. Allein von allem dem, was ich auf diese Art bestimmt hatte, sollte nach des Oberstudienraths Niethamer Willen Nichts, sondern das gerade Gegentheil geschehen. Die Prüfungen sollten um mehr als eine Woche verschoben werden. Die höchste Klasse sollte nicht die erste, sondern die letzte seyn. Selbst zum Prüfungs-Ort sollte ein anderes Zimmer gewählt (werden). Die erste Aenderung ausgenommen, weil diese mit den übrigen - ihm freylich unbekannten - Rektoratsgeschäften unvereinbar ist, hätte ich zu den andern geschwiegen, wenn er sie mich zu rechter Zeit und auf die rechte Weise hätte wissen lassen. Allein erst am Abend vor dem Anfange der Prüfungen wurde ich durch ein Billet des Oberstudienraths Hobmann inne, daß ein änderndes Rescript auf dem Wege sey. Ich konnte nun nichts mehr zur Schonung meines Ansehens vor den Studenten thun. Ich mußte diese am andern Morgen zur Prüfung gerüstet zusammen kommen und mich von ihnen auslachen lassen. Prof.Thiersch hatte schon ungefähr acht Tage zuvor von der Verschiebung der Prüfungen gewußt, und sich darüber gegen seine Schüler verlauten lassen! Auch daß die Oberklasse der Reihe nach die letzte seyn würde, wußten die Schüler früher als ich. Daß eine so offenbare und so sehr prostituierende Schikane nicht gleichgiltig seyn könnte ist sehr begreiflich. Ich ging daher in Begleitung des Rektoratsmitgliedes Prof.Meilinger zu dem Oberstudienrath Niethamer und erklärte ihm, daß ich wohl wisse, woher die Schikane komme. Daß ich aber nicht gesonnen sey, mich hudeln zu lassen, sondern mich beschweren und meine Dimission nachsuchen werde.

Und somit lege ich nun Euer Königl. Majest"t wiederholt die allerunterthänigste Bitte um allergnädigste Entlassung von meinen Stellen am hiesigen Schulhause vor. Zwar könnte die mir durch den letzten Fall zugefügte Herabsetzung durch irgend eine Genugthuung wieder in etwas vermindert werden. Allein dadurch würde doch das Haupthinderniß - die gewaltige Kluft, die zwischen ihm und mir in Hinsicht des ganzen pädagogischen Wissens und Benehmens besonders für unsere Gegenden statt findet, - nicht weggeräumt. Mir bliebe also immer Nichts anders übrig als meine Ueberzeugungen zu verläugnen und meinen Verstand fortwährend in seine Dogmata gefangen zu geben. Allein ich kann unmöglich Grundsätze, die ich durch dreyßig Jahre eigner Erfahrung bewährt fand, vorzüglich für unser Vaterland - gegen Hypothesen eines Mannes hingeben, dem nicht nur die Bedürfnisse unseres Landes, sondern auch der Erziehung und des Unterrichtes in niedern Schulen überhaupt fremd seyn müssen, wenn er sie nach dem ihm einzig bekanntern Universitätsbedürfnissen - und selbst diese, bloß nach dem in seinem Bezirke herkömmlichen Maßstab - bemessen zu können meint.

In der sichern Hoffnung den akademischen Zwecken, für die ich so ganz verlohren wäre, ohne daß ich darum für die pädagogischen wirken könnte, wieder allergnädigst zurückgegeben zu werden, ersterbe ich in allertiefster Ehrfurcht

Euer königl.Majestät

allerunterthänigstÿ

gehorsamster Caj.

Weiller Direktor

München, 19ter August 1809