Stellungnahme des Leiters der Studiensektion
v.Zentner
München, den 11ten August 1810
Die gegenseitigen Beschwerden des hiesigen Studien Directors Weiller und des Profeßors am Gymnasium Thiersch betr.
Ref. v. Zentner
Vortrag
Der Profeßor der oberen Mittel-Klaße des hiesigen Gymnasiums Friedrich Thiersch hat bei den Schülern seiner Klasse im Anfange eine, dann in der Folge wochentlich zwey außerordentliche Stunden eingeführt, die er dazu bestimmte, von seiner Seite, die von ihm corrigirte schriftliche Arbeiten zum Theile durchzugehen und zurückzugeben, die freyen schriftlichen Arbeiten mit seinem Urtheile darüber den Schülern wieder zurückzustellen, ihnen, zur Erläuterung historischer und geographischer Gegenstände, Karten, Kupferwerke und merkwürdige Bücher vorzulegen, - von Seite der Schüler aber - die memorirten Stücke herzusagen, versäumte Anfangs Gründe besonders in der griechischen Formenlehre, nachzuholen, und über früher abgehandelte Gegenstände zuweilen sich prüfen zu lassen, auch einige Mahle die in der Schule abgebrochene Erklärungen zu vollenden.
Da die Schüler mit anderen Schularbeiten schon sehr beladen waren, und einige unter ihnen auch durch Privat-Unterricht sich unterhalten müssen, so wurden ihnen diese außerordentl. Stunden lästig, und da ihr H.Profeßor auf der Besuchung derselben, wie bei den übrigen gesetzlichen Lehrstunden, streng bestanden hatte, so beschwerten sich darüber die sämtlichen Schüler bei dem Directorate.
Dieses versprach ihnen, mit dem Profeßor sich darüber zu benehmen, und ihn dahin zu bewegen, daß Er es bei der vorigen Stunden Zahl bewenden lasse. Dieses geschah auch theils schriftl. theils mündlich.
Der Profeßor versprach, es so einzurichten, daß künftig im Durchschnitte auf die Woche nur eine Stunde komme.
Als dieser aber bei seinen Schülern das Gegentheil erklärte, nämlich daß es bei dem alten bleiben müsse, so beschwerte sich abermals desselben Klasse durch eine Deputation bei dem Directorate.
Director Weiller suchte die Schüler damit zu beruhigen, daß in der Sache ein Mißverständniß zum Grunde liegen müsse, Er werde dieselbe durch eine wiederholte Unterredung ins Reine zu bringen suchen, Sie sollten indessen in allen zwey Stunden erscheinen, wenn ihr H. Profeßor es verlange.
Director Weiller sprach auch wirklich wiederholt mit Thiersch, und dieser versicherte, es so einzuleiten, daß etwa, den einen oder andern außerordentlichen Fall ausgenommen, - es nur eine Stunde in der Woche treffen solle, - nur wolle er nicht geradezu widerrufen, damit sein Ansehen bei den Schülern nicht compromittirt werde.
Einige Tage darauf soll Profeßor Thiersch seinen Schülern mit Heftigkeit angekündigt haben, daß Er ihnen überhaupt gar keine der bisherigen außerordentlichen Stunden mehr geben werde, sondern daß Er hiermit nur die Beßeren aufrufe, sich von den Schlechteren auszuscheiden, und freywillig bey ihm zu erscheinen. Er setzte den Director davon in Kenntniß, mit dem Ansuchen um seinen Beistand für den Fall einer Widersetzlichkeit, welchen dieser ihm auch zusicherte.
Weiller glaubte, daß damit die ganze Sache abgethan sey, allein Thiersch übergab in einer Vorstellung unterm 1ten Juny bei S.Majestät dem Könige eine Beschwerde, die vorzüglich gegen den Director Weiller und den Pedell Thürmer gerichtet war, und worin Er vorgab, daß seine Schüler durch die beiden Genannten zu dem unternommenen Schritte und zu der Beharrlichkeit in ihrer Widersetzlichkeit verleitet worden, und durch einige unruhige Köpfe eine förmliche Meuterey unter seinen Schülern gegen ihn entstanden sey.
Er trug deshalb auf eine nähere Untersuchung dieser Sache, und, nachdem die Urheber dieser Meuterey, so wie das Benehmen des Pedells durch diese Untersuchung würde entdeckt seyn, darauf an, daß
a) der Pedell Thürmer zur oeffentlichen Abbitte und gefänglichen Haft verurtheilt, und
b) über diejenige Schüler, deren Namen auf dem Blatte, welches unter ihnen zur Beschwerdeführung circulirt hat, zuerst gestanden, als über die Urheber derselben, - eine ihren Vergehungen angemessene Strafe zu ihrer Correction und zur Warnung für andere verfügt werde,
c) daß alles auf den vorigen Fuß zur Handhabung seines Ansehens wieder hergestellt,
d) der ganzen Klasse das königl. Mißfallen über ihren hartnäckigen Undank zu erkennen gegeben und
e) ihnen aufgetragen werde, zu den oben bemerkten Arbeiten, wie den Winter über, entweder zwey oder eine Stunde wöchentlich, je nachdem Er es für nöthig erachte, zu halten, dann daß
f) diese Stunden auch für künftige Fälle sanctionirt werden.
Damit verband er die Bitte, die verlangte Untersuchung nicht dem Director, als einer Parthey gegen ihn, sondern einem andern Commissaire zu übertragen.
Unter demselben Dato übergab auch Director Weiller eine Vorstellung, in welcher Er die allerhöchste Stelle von diesem Vorfalle in Kenntniß setzt, und gegen den Profeßor Thiersch klagt:
a) daß dieser denselben, der doch eine bloße Schulbegebenheit sey, an das Stadtgericht gebracht habe,
b) daß er durch sein übriges Benehmen dem so unentbehrlichen Vertrauen zwischen dem Director und den Schülern und dadurch der gehörigen Einwirkung des Ersten auf die Letzten, und ihrer gegenseitigen nothwendigen Annäherung Hindernisse lege,
c) daß Er die hiesigen Profeßoren überhaupt sowohl durch oeffentl. Schriften als insgeheim mündlich gegen ihn einzunehmen und aufzuhetzen suche.
Der Vorstand der Studien-Section, welchem diese beiden Vorstellungen zukamen, veranlaßte hierauf an den Ober-Studien-Rath Hobmann, als einen von allen Partheyen anerkannten unbefangenen Mann, den Auftrag:
die Beschwerde des einen und anderen Theiles genau zu untersuchen, und das Resultat der Untersuchung, mit Beilegung des darüber abgehaltenen Protokolls, zur Veranlassung einer geeigneten allerhöchsten Entschließung ihm vorzulegen.
Aus der Untersuchung gieng nach den vorliegenden Protokollen folgendes Resultat hervor:
1) Professor Thiersch gesteht selbst, daß er anfänglich eine und zuletzt zwey außerordentliche Stunden, und zwar für alle seine Schüler ohne Unterschied als gesetzliche Stunden eingeführt hat,
2) In seiner Anzeige an das Rectorat war nach der Aussage des Directors Weiller nur von einer und nicht einmal von einer vollen außerordentlichen Stunde die Rede,
3) Daß diese Stunde auf zwey ausgedehnt, und gesetzlich gemacht worden, wie die ordentlichen Stunden, geschah vom Profeßor Thiersch eigenmächtig, und ohne Vorwissen des Rectorats,
4) Die Aussagen sämmtlicher Schüler aus der angeklagten Klasse kommen darin überein
a) daß ihre Beschwerde dadurch veranlaßt worden sey, daß ihr Profeßor die außerordentlichen Stunden zu zwey vollen wochentlichen Zwangsstunden gemacht habe, wo sie doch mit vielen gewöhnlichen Schul-Arbeiten schon beladen seyen, und Manche unter ihnen durch Instructionen sich unterhalten müssen,
b) daß sie zur Anbringung ihrer Beschwerde bei dem Directorate dadurch gebracht worden seyen, daß der Profeßor auf die Gesuche einzelner Schüler um Dispens von diesen außerordentlichen Stunden keine Rücksicht genommen, und auf der Besuchung derselben ohne Ausnahme streng bestanden habe,
c) daß sie zu dieser Beschwerdeführung von Niemand besonders aufgefordert worden seyen.
Ein einziger Schüler giebt an, daß gesagt worden sey: Derjenige sey ein schlechter Kerl, welcher diese Privatstunden noch besuchen wolle, - Friedrich Müller, Frh.v.Aretin, und Hyazinth Schmid hätten sich vorzüglich dabey ausgezeichnet, - welches aber alle Übrige als unrichtig erklären.
d) Daß Pedell Thürmer sie nicht aufgestiftet, sondern nur aus Anlaß, daß einige Schüler ihm geäußert haben: H.Profeßor gebe ihnen nunmehr keine Stunde mehr, - denselben erwiedert habe: wenn sie nichts zu thun hätten, so könnten sie spaziren gehen.
e) Zuletzt beschweren sich mehrere Schüler
über das Benehmen des Profeßors, daß Er nämlich zu
leidenschaftl. und oft auf nur unwürdige Art sie behandle. Auch machen
ihm einige den Vorwurf, daß Er die griechische Sprache - sein Lieblingsstudium
- zum Nachtheile der übrigen betreibe.
Director Weiller bemerkt in einem Nachtrage vom 11ten Juny
1) der Profeßor Thiersch überlade seine Schüler mit Arbeiten, besonders im Griechischen,
2) Er begünstige diese Sprache so sehr, daß darunter die übrigen Lehrgegenstände leiden,
3) Er übe seine Schüler zu wenig in schriftlichen Aufgaben,
4) Er beschäftige sich zu sehr mit Grammatikal-Bildung auf Kosten der seiner Klasse eigenthümlichen humanistischen,
5) Er verliere sich oft in abstracten Regionen seiner Fächer,
6) Im Zorne vergaß Er sich manchmal so sehr, daß Er selbst nach dem Ohr der Schüler greife,
7) Er sey eine vorzügliche Ursache von dem gestörten inneren Frieden des Gymnasiums.
8) Er habe seinen Schülern den genommenen Rekurs an das Directorat bitter vorgeworfen,
9) Derselbe habe sowohl oeffentlich als privat
die Profeßoren gegen ihn aufzuhetzen gesucht.
Antrag
I
Profeßor Thiersch ist ein junger, thätiger und geschickter Lehrer, - seine Vorliebe für die griechische Sprache und Literatur äußert sich aber zum Nachtheile der übrigen Lehrgegenstände, Er behandelt seine Schüler gegen die ausdrückliche Vorschriften in Beziehung auf die griechische Sprache ganz gleich, ungeachtet nach dem ehemaligen Studien-Plan mehrere dafür gar nicht vorbereitet sind, und deshalb nicht alle zu einer gleichen Stufe in ihrer philologischen Bildung erhoben werden können, - dadurch entsteht die Folge, daß einige Schüler ohne Zweck und zum Nachtheile anderer Lehrgegenstände, die ihren bisherigen Kenntnissen angemeßner wären, geplagt, andere in ihren Fortschritten zurückgehalten werden.
Derselbe hat in dem angezeigten Falle verfehlt:
a) daß er zwey außerordentliche Stunden eigenmächtig und ohne Vorwissen des Rectorats als gesetzliche eingeführt hatte,
b) daß Er ungeachtet der ihm gemachten Erinnerungen von Seite des Directorats diese Stunden nicht auf diejenige reduzirt hat, wie sie anfänglich mit Vorwissen des Directorats eingeführt waren,
c) daß er in seiner Beschwerdeschrift den Director Weiller und den Pedell Thürmer einer Aufhetzung seiner Schüler ganz bestimmt beschuldiget, wo sich doch gegen den Ersteren bei der Untersuchung nicht die mindeste Spur einer Aufhetzung gezeigt hat, sondern vielmehr der Director mit vieler Besonnenheit und Schonung gegen den Profeßor verfahren ist, auch der Pedell Thürmer nach dem Untersuchungs-Protokoll einer eigentlichen Aufhetzung der Schüler nicht, sondern höchstens einiger unbesonnener Äußerungen beschuldiget werden kann.
Über diese Punkte verdient der Profeßor Thiersch allerdings einen Verweis und eine Zurechtweisung.
Sein bewiesener Eifer aber verdient zugleich dabey eine Belobung.
Übrigens müßte dem Profeßor Thiersch ein würdigeres Benehmen gegen seine Schüler aufzugeben, und Er zugleich anzuweisen seyn, die außerordentlichen Stunden nur als freye für die besseren und und vorzüglich fleißigen Schülerzu behandeln, und deshalb darin nichts vorzunehmen, was zu den ordentl. vorgeschriebenen Lehr-Gegenständen gehört.
II
Seine Schüler können zwar keiner eigentlichen Meuterey, wie Er sie angeklagt hat, beschuldiget werden; - da jedoch es immer bedenklich ist, und leicht zu Mißbräuchen führen kann, wenn Schülern gestattet wird, aus Beschwerden Einzelner eine gemeine Sache zu machen, und im Nahmen Aller eine gemeinsame Klage zu führen, welche oft nur das Werk einiger unruhiger Köpfe oder arbeitscheuer Schüler ist,
so sollten bei den Rectoraten dergleichen Klagen im Nahmen ganzer Klassen nie angenommen werden, sondern die Rectorate sollten nur daraus den Anlaß nehmen, den Gegenstand der Klage durch Vernehmung einzelner Schüler, welche nach ihrem geprüften Betragen Vertrauen verdienen, zu untersuchen, und das Geeignete darauf von Amts wegen selbst zu verfügen, oder höheren Orts zu veranlassen.
III
Der Pedell Thürmer ist einer absichtlichen Aufhetzung der Schüler nicht überwiesen, jedoch hat er sich einiger unbesonnener Äußerungen gegen dieselbe schuldig gemacht, und
Er möchte deshalb zu einem behutsamen Betragen gegen die Schüler, in ähnlich vorkommenden Fällen, dann zur genauen Beobachtung seiner Amts-Instruction und schuldigen Achtung gegen die Lehrer, unter Bedrohung einer schärferen Ahndung, ernstlichst anzuweisen seyn.
Nach diesen Anträgen wird in der Anlage der Entwurf einer, durch den Vorstand der Studien-Section, mit Beiziehung des für diese Sache ernannten Commissaires, Ober-Studien-Raths Hobmann, zu publizirenden, allerhöchsten Entschließung ehrerbietig vorgelegt.
IV
Die Beschuldigung, daß Profeßor Thiersch diese Schulsache an das Stadtgericht gebracht habe, ist durch eine berichtliche Erläuterung des Stadtgerichts nicht begründet gefunden worden; es wurden bei jenem Gerichte nur einige Schüler über die bei demselben anhängige mehrere Prozeße von den hiesigen aus dem Auslande berufenen Gelehrten - auf Anzeige des Profeßors Thiersch vernommen;
weshalb diesem Beschwerdepunkte keine weitere Folge
zu geben sein möchte.
v.Zentner