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Dokument 3: Schreiben Thierschs an den Leiter der Untersuchung, Oberstudienrat Hobmann, vom 8. Juni 1810 als "Beylage zum Protokolle in Sachen gegen die Schüler u. den Direktor Weiller"
 

Hochwürdiger Herr,

Hochwohlgebohrener Herr Oberstudienrath,

Ew. Hochwürden wollen es gütigst erlauben, daß ich Ihnen einige Worte über den Gesichtspunkt vorlegen darf, aus welchem ich die jetzt entstandene Zwistigkeit in der Schule betrachte. Es geschieht keines Wegs, weil ich wegen dero Urtheil in dieser Sache besorgt bin, denn wie könnte ich dieses, da ich für Ihre Grundsätze u. Ansichten u. für ihren persönlichen Character die größte Verehrung empfinde und nicht wegen einiger Versäumniß meiner Pflichten, sondern im Grunde nur darum angeklagt wurde, weil ich alle meine Zeit u. Kräfte auf die sorgfältige Erfüllung derselben gewandt habe. - Das wünschte ich, daß Ew. Hochwürden den Vorfall nach dem Zusammenhange betrachten, in welchem er mit meinen Ansichten u. mit dem ganzen Studienwesen steht, u. nach der Wichtigkeit, welche er durch den besten Umstand bekommt. Um aber meine Ansichten über Erziehung u. Unterricht zu bezeichnen, bitte ich um Erlaubniß, von mir selbst einige Worte, welche die Sache verlangt, sprechen zu dürfen.

Ich ward in einer Schule von alterthümlichen Geist u. wohlbegründetem Rufe erzogen, in der Schulpforte, die auch große Männer, den Klopstok, Ernesti u.a. gebildet hat, und lernte dort seit meiner frühen Jugend, was man in Büchern leicht übersieht, aus eigner Erfahrung, daß Jünglinge nicht dann, wenn sie die Arbeit als ein Geschäft betrachten, das neben mehrern andern Geschäften einen Theil ihrer Zeit und Kräfte einnimmt, sondern nur dann wissenschaftlichen Sinn fassen u. ein Leben für die Wissenschaften u. in demselben verstehen u. liebgewinnen werden, wenn sie das Studium zum einzigen Geschäft desselben machen, und abgezogen von dem Tande der Zerstreuungen um sich her, in sich selbst zurückgehen u. durch anhaltende Arbeit an allen Kräften des Geistes erstarken. - Welche Maximen und Forderungen ich aus dieser Erfahrung für meine Lehre abgezogen habe, sehen Ew. Hochwürden ohne meine Erinnerung.

Ich wuchs heran, auch am Körper durch die Arbeit, die ihr Maas hat, keines wegs geschwächt u. ohne unter meinen zahlreichen Jugendfreunden einen einzigen zu finden, der darum, weil er viel gearbeitet, am Körper schwächer geworden wäre: mich zu rühren u. anzustrengen, war mir ein Bedürfnis u. das Eindringen in manche Wissenschaft unbeschwerlich, so wie jede Arbeit für äußere Zwecke zur leichten Müh. ich erfuhr, daß eine Erziehung für die Wissenschaft die beste Vorschule für die Anforderungen des Lebens ist.

In meinem 22ten Jahre bestand ich als protestantischer Theolog eine strenge Prüfung zu Dresden, in meinem Vaterlande, und konnte zu gleicher Zeit wegen einer Stelle eines Sekretärs bey Millin in Paris unterhandeln, wo ganz andere Wissenschaften als die meines Berufs: tiefer Kunde des Altertums u. der alten Kunst, sowie umfassende Kenntniß der neuern Sprachen verlangt wurde. Meine Erziehung, auf wenige Gegenstände beschränkt, die von der practischen Wirklichkeit entfernt u. größten Theils im Alterthum waren, hatten mich nicht, wie ein bekanntes Vorurtheil es für unvermeidlich hält, zur Einseitigkeit oder Pedantismus verbildet.

Ich zog zu jener Zeit dem Rufe nach Paris eine Aussicht vor, die sich mir auf der berühmtesten Universität von Deutschland eröffnete u. wanderte nach Göttingen. - Dort bestieg ich, aufgemuntert durch manchen erfahrenen Mann - Heyne war mein vorzüglichster Beschützer - u. durch die ganze philosoph. Fakultät, welche mir die Doktorwürde unentgeldlich und, weil ich bereits Schriftsteller war, ohne weitere Prüfung verlieh, nicht ohne Beyfall einen akademischen Lehrstuhl u. lehrte über Gegenstände, in deren Detail ich zum Theile mich nicht hineinarbeiten mußte. - ich erfuhr dabey an mir selbst, was oft gesagt worden, daß derjenige, der durch frühe u. anhaltende Anforderungen seiner Kräfte versucht hat, sich später hin für jeden Fall der nöthigen Gegenstände leicht bemächtigt. Zugleich war ich dort am Gymnasium angestellt, wo ich nach der Summe der Erfahrungen, die mir mein Leben darboth u. nach denselben Grundsätzen wie hier in München 1 Jahr u. 3 Monate gelehrt habe. Wie man in jenem Orte, wo die Wissenschaftlichkeit so lange ihren Sitz hatte und so viel Herliches erzeugte, und wo Competenz im Urtheil über das was u. wie beym Lehramt zu erwarten ist, von meiner Thätigkeit an der Schule urtheilte, mögen Ew. Hochwürden aus folgender Stelle eines Brifes von dem berühmten Geschichtsschreiber Heeren abnehmen, die ich auch darum aushebe, weil er der nächste Vorstand jener Schule war.

"Ihr Andenken hat sich mir viel zu tief eingeprägt; und ohnehin wird es bey meinen Besuchen hier in der Schule nur zu lebhaft erneuert. Ihr Weggehen hat da eine Lücke gemacht, die keineswegs ausgefüllt ist; und auch neulich wie ich dort war, ward ihr Name nicht bloß mit Achtung, sondern auch mit Sehnsucht ausgesprochen. - Mögen Sie dort ein eben so reiches Feld u. eine eben so schöne Erndte finden, als hier Ihrer wartete; nie kann ich anders, als mit dem lebhaftesten Antheil an sie zurückdenken" pp (vom 20ten Octobr. 1809)

Noch in meinem 24sten Jahr folgte ich einem Rufe nach München, entschlossen, meine Zeit u. Kraft dem wissenschaftlichen gedeihen dieser regsam aufstrebenden Nation zu widmen. Noch steht mein Entschluß unerschüttert, obwohl ich von meinem ersten Auftritt durch Übelwollen, Feindseligkeit, Verfolgung von außen her bedrückt wurde, u. in der Klasse in meinem steten Kampfe gegen die Bequemlichkeit u. Vergeßlichkeit der Schüler begriffen gewesen bin.

Diese wenigen Fragmente aus meiner Lebensgeschichte hatten keinen andern Zweck, als zu zeigen, daß ich hier am Gymnasium zu München nicht nach zufälligen Stimmungen und Ansichten, sondern nach Grundsätzen handle, die sich durch mein eignes Leben in mir entwickelt u. begründet, so wie durch frühere Versuche in der Anwendung auf andere beruht haben. - An ihrem Erfolg in Baiern zweifeln, heiße in kleinmüthiger Thorheit meinem neuen Vaterlande die Anlage zur Gründlichkeit, Gelehrsamkeit, mithin zur höheren wissenschaftlichen Bildung überhaupt abzusprechen. - Auch Sie, ehrwürdiger Herr, u. die erlauchte Regierung wollen Wissenschaft, Gründlichkeit u. mannigfache Bildung der Schüler, weil der Staat u. die Zeit sie gebieterisch von dem heranwachsenden Geschlechte verlangt, und sind überzeugt, daß dieses löbliche Ziel nur durch erhöhte Anstrengung u. anhaltende Thätigkeit der Lehrer und Schüler zu erreichen steht. Meine Ansichten wären demnach mit den Forderungen meiner Vorstände in Übereinstimmung. - Nicht die Masse des Wissens, die verfliegt, oder das Griechische u. Lateinische, an sich von untergeordnetem Bedürfniß, sind das höchste Gut der Erziehung, sondern eben das Gewöhnen zur Arbeit u. Anstrengung, so lange es noch Zeit ist, die durch den vielfaltigen u. fruchtbaren Lehrstoff gewonnene Bildung, Übung und Gewandtheit des Geistes u. Urtheils, welche dann der Staat für seine Zwecke in Anspruch nimmt. - Anders denken manche Andere hier, von den Eltern der größte Theil, u. am meisten die Schüler selbst. Man meint mit wenigem auszureichen, mißt des Lehres [unleserlich] nach seinen gelinden Forderungen an die Schüler, schreyt über unnütze Plackerey, wenn von Anstrengung die Rede ist und fürchtet Kopfscheu, Nervenschwäche u. anderes Unheil, wenn nun wirklich anhaltend gearbeitet wird. - Das ist die Hauptopposition gegen die Schulreform, besonders gegen mich, u. Ew. Hochwürden sehen, daß sie tief haftet u. dem vorliegenden Falle als allgemeine Triebfeder zum Grunde liegt. Meine Schüler müssen arbeiten, und arbeiten viel; an den Seminaristen können Ew. Hochwürden abnehmen, wie sie thätig sind. Sie müssen ferner üben u. behalten, was sie wissen u. ich lehrte ausdrücklich darauf. - Klagen mancher Art sind dann unvermeidlich. Ich habe sie, als vorübergehend, nicht geachtet, bis sie einen unerwarteten Fürsprecher fanden. - Vorwürfe könnten mich nur treffen, wenn ich meine Forderungen an die Schüler in Wahrheit überspannte. Dagegen zeugen, wie bereits anderwärts erinnert, die freyen Arbeiten, für welche ihnen Zeit genug übrig blieb. Ew. Hochwürden können sich durch Einsicht der Bücher des Schelf, Wimmer, Promberger pp auf dem Seminar von dem Umfange derselben überzeugen: Überhaupt aber muß es wohl dem Ermessen jedes Lehres überlassen bleiben, was er von seinen Schülern verlangen darf.

Nach diesen Prämissen werden Ew. Hochwürden die Absicht dieses Schreibens nicht weiter verkennen. Es sollte deutlich werden, daß ich nach Grundsätzen u. Überzeugung auf meine Klasse gewirkt habe u. ebenso zu wirken fortfahren werde, daß die Klagen gegen mein Benehmen sich erhoben, weil es neu und ungewohnt ist, u. die Schüler, wo es nicht seyn soll, für ihre Nachlässigkeit Vorschub finden, daß der angefangene Handel selbst diesen Zusammenhang hat und mit der Opposition gegen die Schuleinrichtung in unmittelbarem Verhältnisse steht, daß ich demnach auch in sofern von der Regierung Schutz u. Beystand erwarten darf, als ich vermuthen kann, es sey fortdauernd ihr Wille, die für heilsam gehaltene Reform gegen Bewegungen, die sich so leicht erzeugen u. zerstreuen, beharrlich zu verfolgen. - Die Art, sie ich die Sache betreibe, ist einige Jahrhunderte älter als ich, u. wird mit mir bestehen, so lange ich wirken kann, u. auch später noch, wo man mehr Wissenschaftlichkeit begründen will.

Ew. Hochwürden wollen diese Bemerkungen u. die Versicherung der größten Verehrung gütig aufnehmen, mit derer ich verharre

Ew. Hochwürden

unterthänigster Diener

Dr. Friedrich Thiersch Prof.